Forum Genuss Alpen – Gutes Leben – erfolgreiches Wirtschaften

Nach der kollosalen Kalbsmetzgete in Frastanz stand für mich anderntags eine kulinarische Wanderung auf dem Programm. Als begeisterte, aber verhinderte Wanderin (fragt nicht) hatte ich mich darauf natürlich besonders gefreut, musste dies mit angeknackstem Fuß aber knicken. Stattdessen schloß ich mich kurzerhand den angereisten Journalisten an, die früh am Morgen ins Montafon aufbrachen …

Montafoner Skyline
Montafoner Skyline
© Wildkraut & Wanderschuh

Im bis auf den letzten Platz gefüllten Gasthof Löwen in Tschagguns entsponn sich bald darauf eine rege Diskussionsrunde, unter dem Leitmotto Gutes Leben – erfolgreiches Wirtschaften; regional + nachhaltig + fair: Zukunftsperspektiven für Tourismus und Landwirtschaft. Unter den Podiumssprechern waren der Journalist und Autor Christian Seiler, Sternekoch und Schafbauer Heinz Reitbauer, Hotelier Joschi Walch, Vertreter der Kooperationsinitiative Bewusst Montafon, des Montafon Tourismus, sowie Hannes Konzett – Chefredakteur des Magazins Genussziele und Kurator des Forum Genuss Alpen.

Erklärtes Ziel der Region Vorarlberg ist, bis 2020 europaweit führend in Nachhaltigkeit, Regionalität und Gastlichkeit zu werden. Nun sind diese in erster Linie aus Marketing-Gründen ins Leben gerufenen Begriffe vielerorts Worthülsen und reichlich abgedroschen.
In Vorarlberg aber machen sie Sinn. Noch nicht für Jeden und auch nicht ohne Rückschläge. Aber man ist auf dem Weg, sprich zuallererst mal im Dialog zwischen Landwirten, Lebensmittelproduzenten, Gastronomen und Tourismus-Experten – eine der wichtigsten Voraussetzungen für win-win-Modelle in ländlichen/touristischen Regionen. Und die regionale Politik ist mit im Boot, um notwendige Strukturen zu schaffen, bürokratische Hürden abzubauen, etc.

Gutes Leben – erfolgreiches Wirtschaften
Dialog Gutes Leben – erfolgreiches Wirtschaften
© Vorarlberg Tourismus/Christian Schramm

Wertschätzung und Qualitätsbewusstsein im Blick auf regionale Lebensmittel wollen wieder belebt und traditionelle Verfahren mit neuem Know How – und dennoch im Einklang mit der Natur – effektiver gemacht werden. Die Vorarlberger Landwirtschaft, die lange Zeit das 5. Rad am Wagen war (die letzte Sennerei schloß in den 60er Jahren), soll ihren Absatzmarkt zurück bekommen und Begbauern von ihrer harten Arbeit leben können, während standort-angepasste Tiere und Produkte des Touristen Herz erfreuen sollen.
Wirkungsvolle Synergien zwischen Gastronomie und Landwirtschaft können entstehen, wenn Bauern und Käser Wert auf Klasse statt Masse legen und im Gegenzug Gastronomen Abnahmegarantien leisten und – um wirtschaftlich tragfähig zu arbeiten – die erworbenen Tiere in Gänze verarbeiten. Mit entsprechender Wertschätzung, Kommunikation und in sehr guter Qualität wird auch der Gast erfreut sein, regionale Produkte auf seinem Urlaubsteller vorzufinden.

Das ist natürlich viel weniger einfach, als es hier klingt. Dementsprechend kamen bei dem nicht nur von den vorderen Rängen geführten Dialog so viele nachdenkenswerte Aspekte auf den Tisch, dass ich sie hier im Einzelnen nicht aufdröseln kann. Stattdessen sei mir eine unsortierte Sammlung Schnipsel und Zitate gestattet:

Dialog und Kooperationen schaffen die Möglichkeit, eine gemeinsame Stimme zu bekommen (zum Beispiel wie beim Thema Saatgut) und um die Kulinarik des Landes nach außen zu tragen.

Was passiert, wenn eines Tages die ganze Welt Alpkäse möchte? Und möchte man ihn dann selber noch?

Die Erlebnisgesellschaft wird zur Sinn-Gesellschaft.

Es können nur in begrenztem Maß Produkte nachhaltig erzeugt werden, aber andererseits werden diese Produkte eingesetzt, um Touristen anzuziehen.

Regionalität hat in den letzten 10 Jahren Karriere gemacht. Mit NOMA zog das Bedürfnis nach Regionalität in die Gastronomie ein.

Bio allein ist nicht genug. Die Produkte auf dem Teller müssen gut sein.

Fundament ist Vertrauen. Vertrauen zwischen Landwirten und Gastronomen. Wenn die auf Augenhöhe zusammen arbeiten, wirds vielleicht was Nachhaltiges.

Wichtig ist, dass wir standort-angepasste Tiere haben. Das erfordert komplette Verarbeitung und Kreativität in der Küche.

Es nützt nichts, wenn wir den Gast aus Hamburg informieren, wie regional wir arbeiten, und der Einheimische weiß das nicht.

Wir müssen die Struktur an den Prozess anpassen. Sonst verbluten uns die Zugpferde.

Ich glaube, dass etwas Besonderes nicht immer verfügbar sein muss.

Die Breite kommt automatisch, wenn gelingende Beispiele kommuniziert werden.

Seitens der Politik und Behörden wäre mehr Augenmaß im Umgang mit regionalen Produktionsverfahren von Nöten. Die aufgestellten Hürden durch Regularien sind oft zu hoch, um von kleinen Unternehmen gestemmt zu werden.

Wir alle Vorarlberger sind aufgerufen, uns Touristen gegenüber Gastfreundschaft zu üben. Das gehört zum Bild.

Touristische Angebote zum Thema Nachhaltigkeit (beispielsweise die Radtouren zu den Montafoner Steinschafen) werden buchungsrelevant werden.

Wir müssen mit unseren Betrieben und den Ressourcen auskommen, die die Region hergibt. Wir können nicht outsourcen.

Man ist plötzlich wieder stolz, Produkte aus dem eigenen Garten an die Gastronomie abgeben zu können.

Als Wirte müssen wir bereit sein Garantien zu geben, höhere Preise zu zahlen. Das funktioniert aber nur, wenn Tiere vollständig verarbeitet werden und der Gemüseanteil erhöht wird.

Im Gegensatz zu den Touristen leben wir das ganze Jahr hier. Die Partnerschaft innerorts muss stärker werden. Für einzelne Gastronomen funktioniert das, aber wie schaffen wir es, auf Landesebene Partnerschaften aufzubauen?

Eine gute Kommunikation bringt Wertschöpfung. Neben Gastronomie und Landwirtschaft sind Meinungsbildner gefragt.

Regionalität wird oft mit Authentizität verwechselt.

Wenn wir von Nachhaltigkeit reden, müssen wir auch das regionale Handwerk berücksichtigen.

Höchst interessant! Trotz des langen Weges, den die Vorarlberger noch vor sich haben, ist bei mir der nachhaltige Eindruck entstanden, dass sich hier die deutschen ländlichen Regionen dringend mehrere Scheiben abschneiden sollten.

Vorarlberger Spezialitätenmarkt
Vorarlberger Spezialitätenmarkt
© Vorarlberg Tourismus/Christian Schramm

Apropo abschneiden. Nebenan in der Veranstaltungsscheune des Hotels Montafoner Hof wurde fleißig abgeschnitten, umgerührt und angerichtet. Hier warteten auf die erhitzten Gemüter kühle Getränke, Brote von echten Bäckern, Fleisch vom Montafoner Steinschaf, von Wild und Braunvieh, Whisky aus Mais und das für die Region typische Rieblmais (geschroteter Mais, der traditionell zum Frühstück gegessen wird), Bergkäse und weitere Spezialitäten aus der Region. Dazu morgen mehr …

Die ganze Story:

Teil 1: Nose to Tail in Frastanz
Teil 3: Montafoner Spezialitätenmarkt
Teil 4: Süßwasserfisch in Wort und Tat
Teil 5: zahme Tiere, wilde Kräuter …
Teil 6: Wilde Weiber-Menü

veröffentlicht am: 08.07.2015

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4 Kommentar(e)

  • Als die Einladung zum Forum Genuss Alpen – Denken und genießen auf Vorarlberger Art ins Postfach flatterte, stand nach kurzem Blick auf das Programm fest, dass hier nicht nur höhenluftverwöhnte Leckerbissen lockten, sondern das Festival ernsterer Natur wa

  • Der Diskussionsrunde zum Thema nachhaltiger regionaler Entwicklung am Vormittag des 13. Juni in Tschagguns schloss sich unmittelbar nebenan der Montafoner Genuss-Markt an. Christian Seiler im Interview mit Heinz Reitbauer beim Montafoner Genussmarkt &

  • Für die nächste Etappe ging es vom Montafoner Genussmarkt einmal durch Vorarlberg hinein in den Bregenzer Wald mit seinen saftig grünen Hügeln und eingestreuten Bergmassiven. Im Schulhus in Krumbach erwartete uns ein weiteres spektakuläres Dinner. Spekta

  • Letzte Etappe des kulinarischen Querschnitts durch Vorarlberg war das Wilde Weiber-Menü im Biohotel Schwanen Bizau, wo ich auch vorzüglich und herrlich ruhig nächtigte. Biohotel Schwanen in Bizau (Bregenzer Wald) © multikulinarisch[es] Als log

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