mein persönlicher Mauerfall (der echte)

Ist es wirklich schon ein Viertel-Jahrhundert her?

Willkommensgruß für Ostberliner am 10.11.1989 am Kudamm-Eck
Willkommensgruß für Ostberliner am 10.11.1989 am Kudamm-Eck
© Wildkraut & Wanderschuh

Im schönen Dresden in meiner fleißigen Familie, die zum Gelingen, aber nicht zur Verlogenheit des Staates beitragen wollte, lernte ich, mich als Heranwachsende nicht von der omni-präsenten Propaganda beeinflussen zu lassen. Ein Parteibeitritt kam nie in Frage. Damit leider auch kein Zugang zur erweiterten Oberschule und Hochschulstudium. Ich nahm den Umweg über Berufsausbildung und Fachschulstudium, welches mich 1987 nach Berlin verschlagen hat. Also nach Berlin, Hauptstadt der DDR.

Westberlin war für mich so weit weg, wie der Mond. Unerreichbar. Undenkbar.
Im Prinzip merkte man in Ostberlin wenig von der Teilung der Stadt. Man gelangte als Normal-Sterblicher ohne Wohnsitz in Mauernähe selten in Sichtweite des Antifaschistischen Schutzwalls. Die Grenze war keine Grenze, sondern das diffuse Ende der Welt.


© Wildkraut & Wanderschuh

Obwohl ich seit den Fluchtbewegungen und Demonstrationszügen mit Spannung die Entwicklung der Ereignisse im Land verfolgte, gestehe ich, die Maueröffnung in der Nacht des 9. November 1989 glatt verpennt zu haben. Abends unterwegs gewesen und ohne Nachrichten in’s Bett halt …
Erst am nächsten Tag habe ich auf dem Weg zur Ingenieurschule in Richtung Oberbaumbrücke gemerkt, dass was nicht stimmt. Das tote Ende der Warschauer Straße, das sonst nur von wenigen ausreisegenehmigten Rentnern frequentiert wurde, wimmelte von aufgeregt schnatternden Menschen, die Richtung Grenzübergang strebten.


© Wildkraut & Wanderschuh

Netterweise bekamen wir den Tag frei. Direkt über die Grenze ging es dann erstmal nicht mehr. Ein Visum war gefragt. So reihte ich mich erwartungsvoll in die aus meinem zuständigen Polizeigebäude quellende Warteschlange ein. Anstehen waren wir ja gewohnt.
Soweit ich mich erinnere, wurden anfangs nur Visa für wenige Tage ausgestellt. Nach einer Weile (ich stand immer noch auf der Straße) brüllte eine Frau die gute Nachricht aus dem Fenster, dass nun Visa für 3 Monate ausgestellt würden. Jubel.

Mit Stempel im Personalausweis fuhr ich gegen Mittag zum nächstgelegenen Grenzübergang und passierte mit gemischten Gefühlen die Grenze. Im Tal der Ahnungslosen ohne Westfernsehen und Westradio aufgewachsen hatte ich eine wenig reelle Vorstellung vom goldenen Westen. Wenn auch etwas misstrauisch, freute ich mich über die netten Westberliner, die uns Grenzgänger jubelnd beklatschten.

Auf meinem Stadtplan hörte Berlin an der Mauer auf. Dahinter gabs nur weißes Papier mit ein paar eingestreuten Grünflächen. Mit Hilfe der BVG-Linien-Pläne fand ich mich dennoch zurecht und meinen Weg zum Kudamm.


© Wildkraut & Wanderschuh

© Wildkraut & Wanderschuh

Ich kann von jenem Tag nicht allzuviele Details wieder geben, hoffe aber, die Fotos erzählen genug. Ich weiß nichtmal mehr, was ich mir vom Begrüßungsgeld (danke dafür!!!) als Erstes kaufte. Jedenfalls keine Bananen. 😉
Es herrschte emotionaler Ausnahmezustand, die Straßen waren voll, freundliche Helfer reichten heißen Tee und ich erkundigte mich bei einer netten Obstverkäuferin, was diese große grüne Zitrusfrucht für eine sei.

Dass die neu gewonnene Freiheit am 10.11.89 noch auf tönernen Füßen stand und der friedvolle Ablauf ganz und gar nicht selbstverständlich war, ahnte kein Unbeteiligter. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar für die Besonnenheit der Grenzschützer, die angesichts der Übermacht des Volkes lieber ihre Ideale als Menschenleben geopfert haben.


© Wildkraut & Wanderschuh

© Wildkraut & Wanderschuh

Diese Remineszenz erinnert mich an das deutsch-deutsche Buffet im Hotel Intercontinental, welches anlässlich des Jubiläums die Wiedervereinigung mit klassischen Buffets, Kaffeepausen und Menüs aus Ost- und Westdeutschland feiert.

Wir durften kosten …

Deutsch-deutsches Buffet im Hotel Intercontinental Berlin
Deutsch-deutsches Buffet im Hotel Intercontinental Berlin
© C. Thomas

In kleiner Runde schlemmten wir uns durch Klassiker der ostdeutschen und der westdeutschen Küche. Genau genommen: Burger von Pumpernickel, Krabbencocktail, Russisch Ei, Sülzkotelett, Soljanka, Berliner Kettwurst, Schollenfilets Finkenwerder Art, Falscher Hase, Blumenkohl „Polnische Art“, Ravioli in Tomatensauce und für den süßen Zahn Kartoffelpuffer mit Apfelmus, Schwarzwälder Kirsch, Leipziger Lerchen und Schokoladensoufflé von Hallorenkugeln. Eine köstliche und unterhaltsame Angelegenheit, weckt sie doch jede Menge Erinnerungen.

Die Buffets werden auch als DDR-BRD-Catering angeboten.
Vielen Dank für die Einladung!

veröffentlicht am: 10.11.2014

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13 Kommentar(e)

  • Liebe Peggy,
    danke für diese Zeitreise und den persönlichen Einblick.

    Ich habe früher immer gedacht, West-Berlin wäre ein eigener kleiner Staat mit sehr wenig Menschen – waren ja keine Häuser und Straßen auf der Landkarte eingezeichnet, alles nur weiß 🙂 Mein erster Besuch in West-Berlin war ca. 2 Wochen nach Grenzöffnung, und selbst da wurden wir noch liebenswert begrüßt und bekamen kleine Geschenke. Mein schönstes Geschenk war eine Mandarine von einem Obsthändler am Kottbuser Tor. Die war sooooooo köstlich 🙂

    Die Fotos sind toll. Ich wünschte, ich hätte damals einen Fotoapparat gehabt.
    Liebe Grüße, Franzi

  • Vielen Dank für diese Erinnerungen! Ich lese mich gerade neugierig durchs Netz – für mich war das alles damals so weit weg, vom Rheinland aus gesehen. Mir fehlte auch jede Vorstellung davon, dass die beiden Hälften Deutschlands mal zusammengehört hatten. Für mich waren das zwei unterschiedliche Länder, und was in der DDR vor sich ging, berührte mich kaum. Im Rückblick unglaublich.

  • Liebe Peggy,
    sehr schön. Ich habe Deine Erinnerungen mit viel Interesse gelesen. Wir hatten keine Verwandten in der DDR, aber in Ungarn haben wir Gleichaltrige kennengelernt und noch zu DDR-Zeiten in Gotha besucht. Das war sehr eindrücklich für mich und ich kann mich heute noch sehr genau daran erinnern. Ein guter Freund von uns ist drei Jahre vor dem Mauerfall aus der DDR geflohen und deshalb waren wir emotional zu dieser Zeit sehr dabei. Deine Erinnerungen runden meine Erfahrungen ab. Danke dafür

  • Liebe Peggy, danke für’s Teilhaben lassen. Mir geht es ähnlich wie Sabine. Aufgewachsen bin ich in etwas, das man Zonenrandgebiet nannte – in der Nähe der Grenze zu DDR und CSSR. Für uns war da die Welt auch zu Ende….
    Und ich erinnere mich an all die Trabis, die nach der Grenzöffnung plötzlich auf der breiten Strasse fuhren, auf die ich aus Fenster des Studentenwohnheims schaute.

  • Hallo Peggy, selbst für uns Österreicher war das spannende Zeit. Ich erinnere mich aber interessanterweise viel mehr an die Tage im Frühherbst, als tausende Trabis aus Ungarn kommenden die Westautobahn Richtung Bayern bevölkerten. Das fand ich sehr beeindruckend und die Öffnung der Grenze war für mich damals eigentlich nur eine logische Folge. Ganz herzliche Grüße aus Salzburg, Claudia

  • Wirklich spannend, deine Erinnerungen an diese Tages des Umbruchs zu lesen! Wir wohnen weit entfernt von der Ex-Grenze, und in unserer Familie gab es keinerlei Verwandtschaft „drüben“, so dass die DDR immer ein fernes, aber natürlich doch stets präsentes Thema war. Es gehört einfach ganz fest zu der Zeit, in der ich aufgewachsen bin! Der Mauerfall war selbst für mein „Weitab-vom-Schuss“-Dasein ein echtes Wahnsinns-Ereignis – bei deinen so unmittelbaren Erzählungen und Erinnerungen krieg‘ ich echt Gänsehaut! Danke für’s Teilen!

  • Wahnsinn – die Fotos… Danke!
    Ich saß damals als sehr junge Frau auf meinem Bett in meinem Zimmer – werd ich nie vergessen – und schaute die Ereignisse im Fernsehen an.
    Mir wurde ganz anders und die Tränen liefen mir runter. Ich hab das alles damals überhaupt nicht richtig begriffen, aber gefühlt hab ich, dass ich Zeuge einer großen emotionalen und historischen Umwälzung wurde. Verrückt, dass die Wessies das im Fernsehen gesehen haben, während die direkt Betroffenen das offenbar gar nicht so unbedingt mitbekommen haben. Auch wusste ich nicht, dass ihr eine Berlinkarte mit weißen Flecken hattet!
    Danke für diesen spannenden Bericht.
    Liebe Grüße,
    Yushka

  • Toller Beitrag – sehr persönlich und aus erster Hand! In Bayern war das damals recht weit weg, kann mich aber noch an die Tagesthemen Sendung am 9.11. erinnern, gesehen mit dem Gefühl, dass hier wirklich was einmaliges passiert.

  • Im Westen der Stadt aufgewachsen und ohne Verwandte, Bekannte oder Freunde im Osten der Stadt, wünschte ich mir ganz sehnlich nach der Maueröffnung jemanden aus dem Osten kennen zu lernen, um ganz direkt zu erfahren, wie sich das Leben im Ostteil anfühlte und mich auszutauschen.
    Am 11.11.1989 stand ich inmitten einer riesigen Menschenmenge mitten auf dem Kudamm in Höhe des Kudamm-Ecks, als sich jemand mit der Gitarre in der Hand auf einen Blumenkübel schwang und alle Umstehenden bat, seinem Nachbarn die Hand zu geben und sich vorzustellen. Vor mir stand eine junge Frau, und ich weiß noch dass ich dachte: „Hoffentlich ist die nicht aus Tempelhof“ (gehört zum Westteil der Stadt)…Aber nein, Petra war zu meinem Glück aus der Nähe von Potsdam. Mein damaliger Partner und ich luden sie in ein Restaurant ein, wir tranken zusammen zur Feier des Tages eine Flasche Sekt, erzählten voneinander, tauschten die Adressen aus und besuchten uns gegenseitig. Heute, 25 Jahre später, sind wir gute Freundinnen, kennen gegenseitig die Familien, waren ein paar Mal gemeinsam verreist, sind bei Familienfeiern eingeladen – und gestern Abend haben wir unser Jubiläum mit einer Flasche Sekt gefeiert. Ganz so wie damals…

  • @alle
    Ich danke euch sehr für eure teilnahmsvollen Kommentare! Ich glaube, diese Tage vor 25 Jahren haben keinen von uns unberührt gelassen.
    Für Wessis im Grenzgebiet und für Österreicher dürften die Tage im Herbst 89 mindestens genauso überwältigend – im Sinne von überrollend – gewesen sein. 😉

    @Christel: Das ist ja eine ganz wunderbare Geschichte! Hat mich total berührt!
    @Yushka Den Stadtplan hatte ich nach der Wende irgendwann mit anderen ostdeutschen Utensilien verschrottet. Inzwischen ärgerte ich mich darüber und war glücklich auf einem Trödelmarkt genauso ein Exemplar wieder erstehen zu können. 🙂

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