#sommeroffline – die Sennerin

In der in Teil 2 bis 4 der #sommeroffline-Saga beschriebenen Kulisse war ich vom 5. Juli bis Ende September zu Hause.

Sennerin auf der Rötalm
Sennerin auf der Rötalm
© multikulinarisches

Glücklicherweise hatten die Mädchen mich in Sachen Melkmaschine vorgewarnt. Als diese am ersten Morgen direkt neben meinem Kabuff ansprang, wachte ich zwar vor Schreck auf, fiel aber nicht aus dem Bett. Ich folgte dem lauten Weckruf und ging in den Stall, um zu sehen, ob es dort etwas für mich zu tun gibt. K., der gewohnt ist, sich alleine um das Vieh zu kümmern, schaute verwundert aus seinem Stallanzug – in Südtirol liebevoll ‚Tuta‘ genannt. Mit mir hatte er wohl nicht gerechnet. Ein paar Aufgaben fanden sich dennoch und ich band Kuhschwänze los und trug die Milch ins Haus. Das wurde mein Morgensport für die kommenden 12 ½ Wochen, wobei das Gewicht der Milcheimer wegen nachlassender Milchmenge den Sommer über abnahm.

frisch gemolkene Milch ins Haus tragen
frisch gemolkene Milch ins Haus tragen
Foto: L. Benedikter

Anpassungsschwierigkeiten an ein Leben ohne Warmwasser und Komfort hatte ich kaum. Noch nicht mal TV, Internet und Telefon haben mir gefehlt und ich hatte nichts dagegen, dass das Almradio die meiste Zeit schwieg. Aber es dauerte etwa zwei Wochen, bis ich eine für mich gut funktionierende Routine gefunden hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte es mir dann auch gedämmert, dass ich mich nicht zwangsweise mit kaltem Wasser am Trog waschen muss …

Womit ich anfangs bissl Probleme hatte, war das Nichtvorhandensein von Gemüse, abgesehen von einigen Dosen Mais und Erbsen (die ich erst später entdeckte) und jeder Menge Brunnenkresse vor der Hütte. S., der immer fragte, was ich mir aus dem Tal mitgebracht wünschte, erhörte mein Flehen und buckelte zusätzlich zu den Broten, Eiern, Obst, Post und Zeitungen in regelmäßigen Abständen Paprika, Zucchini und Tomaten auf die Alm. Vielen Dank! Ich weiß das sehr zu schätzen!

Soviel Gemüse hat die Rötalm noch nie gesehen!

(K.)

Überhaupt achtete meine Almfamilie darauf, dass ich beim Essen nicht zu kurz kam. Mein ohnehin schon gesunder Appetit, war auf der Alm nämlich besonders groß. Andauernd hatte ich Hunger. A. hätte es wohl auch gern gesehen, wenn ich ein paar Kilo zugelegt hätte. Den Wunsch konnte ich ihr leider nicht erfüllen, obwohl ich wirklich viel und gut gegessen habe. Zwischendurch naschen durfte ich auch, wann immer und was immer ich wollte. Das war lieb und wegen des frühen Mittagessens, am Nachmittag oft auch notwendig. Ich staunte, mit wie wenig Nahrung K. auskam und dennoch so eine Power hatte.

Mein Tagesablauf sah in etwa so aus:

    • im Morgengrauen zwischen 6.00 – 6.15 aufstehen
      Auch für gerne-Langschläfer kein Problem, wenn man von einer Melkmaschine geweckt wird.
    • im Stall helfen und Milch ins Haus tragen
      Wenn es nachts gefroren hatte, hangelte ich mich vorsichtig an der Hauswand entlang, denn mit den Gummistiefeln auf Eis ausrutschen wäre nicht so prickelnd gewesen.
    • parallel Milch entrahmen
      Dafür wird die Milch in eine Zentrifuge gekippt. In Katz‘ und Hund auch. Man musste darauf achten, dass keine Eimer überlaufen oder klammheimlich mit ihrem Henkel die Zentrifuge ausknipsen, was zu einer mittleren Überschwemmung führt. Letzteres ist dennoch zwei Mal passiert, aber einmal war ich unschuldig.
    • dann Melkkübel und Zubehör am Trog spülen
      Bei Sonneschein keine üble Aufgabe. Bei Minusgraden hing der Zeitpunkt davon ab, ob mit Sonne zu rechnen war. Wenn ja, habe ich die Kübel erst nach dem Frühstück im Sonnenschein gespült. Wenn nicht, gleich – eine echte Herausforderung. Meine Hände reagierten jedenfalls sehr dünnhäutig und platzten dauernd an den unpassendsten Stellen auf. Es gab Tage, da hatte ich mehr Pflaster als Finger. (dehalb die Handschuhe im Stall)
    • Frühstück
      Das war häufig eine einsame Angelegenheit. Ich habs aber nicht schwer genommen, sondern Robine gekrault.
    • anschließend Morgentoilette und Fußbad in Emailleschüssel
      Ich zapfte mir jeweils aus dem Topf vom Herd etwas warmes Wasser ab und ging bzw. schlidderte damit zum meinem Kabuff. Das Fußbad war von Nöten, da selbst die Haut an den Füßen begann aufzuplatzen und besondere Zuwendung verlangte. Außerdem tat das Fußbad sehr gut, weil die Füße immer kälter wurden, je älter der Sommer wurde.
      Morgentoilette
    • Vorraum, Stube und Küche fegen und wischen
    • Zeit für Inspiration
      Auf diese Weise Inspirierendes zu Lesen, zu Beten und neu zu sich selbst zu finden, war leider nur im Juli und August möglich. Im September gaben die Umstände, sowie das Wetter solche Momente nur noch selten her.
    • alternativ Wäsche waschen
    • gegen 11 Uhr Mittag kochen (helfen)
      Dank mit Fleisch von den eigenen Schweinen gut gefüllter Tiefkühltruhe im Tal, wovon S. uns regelmäßig Nachschub brachte, aßen wir häufig Gulasch oder Steaks, sowie Fasten- oder Speckknödel, Polenta, Spaghetti, Risotto, Pastareis und ab und an Melchermus oder Kaiserschmarrn. Einmal machte uns P. Beerennocken aus den reichlich an den Hängen wachsenden Blaubeeren.
    • gegen 11.30 Uhr Mittag
      Wir aßen so früh, da an schönen Tagen um diese Zeit oft schon die ersten Gäste auf der Matte standen.
    • Bewirtung der Gäste (Stoßzeit 11.30 bis 16.00 Uhr)
    • ab 16.30 Uhr Zeit für Entspannung
      Sofern nachmittags keine Gäste mehr da waren, bzw. diese ausreichend bemuttert, setzte ich mich gern mit einem Glas Buttermilch oder Wein auf einen Felsen nahe der Hütte. Dort thronte man oberhalb des fröhlich plappernden Baches und konnte den herrlichen Blick zur Rötspitze genießen und ggf. noch anrollende Wanderer rechtzeitig sichten.
      Buttermilch mit Ausblick
    • kurz vor 18 Uhr die heimkehrenden Kühe daran hindern, über das Gras vor der Hütte herzufallen
      Kühe hüten
    • 18 Uhr beim Melken im Stall helfen, Milch hochtragen und entrahmen
    • Abendbrot vorbereiten und essen
      Als die Mädchen noch da waren, hat es Spaß gemacht, gemeinsam die Reste vom Vortag mit frischen Eiern aus dem Tal zu einer Pfanne zu verbraten, die wir gemeinsam auslöffelten.
    • mit Herrn Schatz telefonieren
      Dank der Nähe der Rötalm zum Tal (abgesehen von den Höhenmetern), konnte man nach einem ca. 5-minütigem Spaziergang mit mehr oder weniger Netz mehr oder weniger gut mit dem Rest der Welt kommunizieren. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich eine Menge vom Trinkgeld einsparen können.
    • Abendbespaßung
      Als die Mädchen noch da waren, schrieben sie häufig am Abend ihre kleinen lieben Briefe, die ich unter gar keinen Umständen vorher auch nur aus der Ferne zu Gesicht bekommen durfte. Manchmal lasen sie auch Comics oder spielten an ihren Smartphones. Oft spielten wir auch Karten bzw. Würfel, oder lösten gemeinsam Sudoku und Kreuzworträtsel. Danach musste ich mich mit Solo-Sudoku und einsamen Patiencen begnügen
Alm und Sennerin
Alm und Sennerin
Foto: L. Benedikter

Wie ihr seht, fielen mir auf der Alm jene Arbeiten zu, für die man keine landwirtschaftliche Ausbildung oder Erfahrung benötigt. Das kann auf anderen Almen ganz anders aussehen, sollte aber in den jeweiligen Stellenbeschreibungen drin stehen. Ich jedenfalls band Kuhschwänze hoch- und los, stimulierte samtweiche Kuheuter, band gelegentlich Glocken um oder ab – einmal sogar der falschen Kuh, balancierte Milcheimer, überwachte das Mimöschen von Zentrifuge und übernahm im Haus die Putzarbeiten, sowie die Verantwortung für das Mittagessen und war die Frontfrau bei der Versorgung unserer Gäste. Die unterschiedlichsten Leute willkommen zu heißen und fühlen zu machen, hat mir großen Spaß gemacht.
Als Zeichen von Wohlbefinden war ich häufig am Vor-mich-hin-summen. Manchmal summte ich aber aus dem selben Grund, aus dem man bei aufkommender Panik im Wald singt: um bei Stress nicht die Nerven zu verlieren. K. meinte, man muss mich nicht sehen, um zu wissen wo ich bin. 🙂

Gäste bedienen
Gäste bedienen
Foto: L. Benedikter

Im September verstummte das Summen weitestgehend. Dieser Bericht wäre unvollständig, ließe ich die Grautöne außen vor. Der letzte Monat war für uns drei auf der Alm Gebliebenen hart. Die Kinder und ihre Fröhlichkeit fehlten uns sehr, dazu kamen gesundheitliche Probleme, blank liegende Nerven und das ungewöhnlich kalte Wetter. Eine zermürbende Kombi! Ich habe versucht, tapfer zu sein und beim Blick auf die Berge Trost gefunden. Ihre Majestät relativiert so Einiges. Wenn Beten, Berge und Zähne zusammen beißen nicht ausreichend halfen, rollte auch schon mal eine Träne. Vor allem am Telefon. Um so schöner war es, dass mich meine Lieben zur Aufmunterung genau in dieser Phase für einige Tage besuchen kommen konnten. Wir spazierten durchs Röttal (mehr war mit Mamas Knie nicht drin), guckten Kühe, tranken Tee mit Rum, klönten bei Kerzenschein und spielten Karten. Ein Wanderversuch mit meinem Herrn Schatz blieb in den Anfängen stecken, weil er sich leider an diesem Nachmittag unwohl fühlte. Schön war es trotzdem, gemeinsam ein Stück gewandert zu sein.

Direkt im Anschluss besuchte uns N., eine ehemalige Helferin und lebenslustige, liebe Frau aus Deutschland. Wir verstanden uns super und vertrieben uns während des Schneesturms die Zeit mit Canasta und anderen Kartenspielen, die wir uns gegenseitig beibrachten. Da N. in dieser Woche die meisten Arbeiten übernahm, hatte ich quasi frei und nutzte nach Wetterbesserung die Gelegenheit für zwei sehr schöne Wanderungen. Einmal stapfte ich durch den vielen neuen Schnee bis unterhalb des Wasserfalls und wollte dort umkehren, um mich keiner Gefahr auszusetzen. Als dann aber andere Wanderer vorbei kamen und einen Weg spurten (den ich auch zurückzu gut finden würde), schloss ich mich denen an und gelangte wider Erwarten bis zur Lenkjöchelhütte, wo man mich von vorausgegangenen Touren gut kannte. Dort genoss ich in geselliger Runde den Gipfelschnaps und fröhliches Beisammensein, bevor ich bei herrlichstem Sonnenschein ins Röttal zurück kehrte.
Die zweite Wanderung führte mich auf die gegenüberliegende Seite des Ahrntals und war wegen der weiß verschneiten Gipfel und guter Sicht ein Traum. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese glücklichen Momente in einem eher schwierigen Monat erleben durfte.

Überhaupt stellte meine Almfamilie mich zum Wandern frei, wann immer die Personaldecke das zuließ. So kam ich auch schon im geschäftigen Juli und im Hochbetriebs-Monat August in den Genuss weiterer sehr schöner Touren zu besagter Berghütte 500 Höhenmeter weiter oben bzw. zu anderen Almen und Ausblicken. Dazu wird im Wanderblog bald mehr zu lesen sein …
Übrigens bin ich H. zu großem Dank verpflichtet. Sie hat mir ihre Wander-Turnschuhe ausgeliehen, wann immer ich welche brauchte. Meine mitgebrachten Wanderschuhe hatten sich nämlich bereits nach drei Pfützen in ihre Einzelteile zerlegt. Erst Mitte September steckte ich wieder in eigenen Schuhen – den aus Berlin chauffierten stabileren Wanderschuhen – wenn ich nicht in Schlappen oder Gummistiefeln steckte.

Almschlappen für sonniges und nasses Wetter
Almschlappen für sonniges und nasses Wetter
© multikulinarisches

Fortsetzung folgt.

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mehr zum #sommeroffline:

Teil 1: von einer die auszog …
Teil 2: die Almfamilie
Teil 3: die Almhütte
Teil 4: die Almtiere
Teil 5: das Wetter
Teil 6: die Produkte
Teil 8: Gäste und Gerichte

veröffentlicht am: 25.10.2017

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