Der Süßwasserfischevent geht in die 4. Runde. Eine Reihe toller Süßwasserfischrezepte sind bereits zusammen gekommen und hier geht es weiter mit einem sehr beliebten Speisefisch, der Maräne, auch als Blaufelche, Renke oder Reinanke bekannt.
Feinschmecker, Journalist, kulinarischer Kolumnist und neuerdings auch Blogger Jörn Kabisch erinnert sich für uns im Zusammenhang mit Süßwasserfisch #4 an frühkindliche Traumata und Schein-Maränen. Im tabldoot-Paralleluniversum findet sich zudem Jörns Lieblings-Rezept für Maräne, Felchen-Escabeche..
…………………… O-Ton Jörn ……………………………..
Fischen war ich das letzte Mal vor fast dreißig Jahren. Mein Großvater war ein passionierter Angler, seit seiner eigenen Jugend in den 20er Jahren trieb es ihn jeden Sommer an den Chiemsee. Und wenigstens einem seiner Enkel wollte er die Passion für dieses Hobby mitgeben.
Mein Großvater war mit allem ausgestattet: Er besaß ein eigenes Holzboot, eine langgestreckte Chiemseeplätte mit Außenborder, natürlich auch viele Angeln und Kescher und außerdem eine große alte khakifarbene Anglertasche aus brüchigem Zwirn, die so interessante Sachen wie Schwimmer, Schnüre und Haken, angerostete Messer, ein paar Blinker und allerlei Fliegenköder enthielt, die sich alle schon in Auflösungszuständen befanden, so verklebt und zerfleddert waren sie. Mein ganz besonderes Interesse aber zog ein Gerät auf sich, das Ähnlichkeit mit einer großen verrosteten Fleischgabel hatte, nur dass daran noch ein langes Stromkabel hing.
Doch ich wurde nicht lange auf die Folter gespannt. Was es damit auf sich hatte, war Lektion 1 meiner Einführung in das Anglertum. Der Opa hieß mich Gummistiefel anziehen wie er selbst und an der Hauswand an der Steckdose stehenzubleiben, das Kabel in der Hand. Dann stiefelte er auf die Wiese unseres Urlaubsdomizils und steckte die übergroße Gabel in die Erde. Wie ich heute weiß, handelte es sich dabei um einen damals haushaltsüblichen Tauchsieder, bei dem die Spirale aufgebogen und dann zu zwei Haken umgeformt worden war. Großvater kam zurück und sagte im Vorbeilaufen, ich könne jetzt den Stecker einstecken – aber vorsichtig. Dann verschwand er im Haus.
Ich war wirklich sehr vorsichtig. Trotzdem: Ein, zwei Sekunden später hörte ich im Haus einen kleinen Knall und erschreckte mich ziemlich. Sehr gedämpft hörte ich die Stimme des Großvaters: „Keine Angst. Da haut’s immer die Sicherung raus! Stecker raus.“ Wenig später erschien er wieder, sah den kleinen Jungen, der wie angewurzelt an der Hauswand stand und den Stecker steif umklammerte. Er hatte eine neue Sicherung eingedreht, fasste mich nun bei den Schultern und drehte mich zur Wiese hin: „Da schau!“
Die Wiese wimmelte. Hunderte, ach was, tausende Regenwürmer ringelten sich zwischen den Grashalmen, der Stromstoß aus dem Tauchsieder hatte sie aufgeschreckt, sie hatten ihren Lebensraum verlassen, offenbar in heller Aufregung hatten sie das Weite gesucht und waren an die Oberfläche geschossen. Überall sah man kleine Klumpen, wo sich die Würmer ineinander verschlungen hatten. Und wer nicht ganz so orientierungslos war, hatte sich bereits auf den Rückweg ins Erdreich gemacht. „Schnell“, sagte der Opa und drückte mir ein Marmeladenglas in die Hand. Wir machten in den nächsten fünf Minuten drei Büchsen voll.
Das war meine erste Anglerlektion: Würmerfischen.
Und wer ein echter Angler sein wollte, der musste sie auch an den Haken stecken. Das war die zweite, leichtere Lektion: Meine kleinen vorsichtigen Kinderhände waren dafür genau richtig, die Würmer zerrissen schnell, wenn man sie mit zu viel Kraft aufspießte. Diese Köder waren ein gefundenes Fressen für die Schrazen, so werden die Flussbarsche am Chiemsee genannt, sie waren etwa so groß wie Forellen. An meinem ersten Tag auf dem Fischerboot fing ich gleich acht Stück, am zweiten vier, dann die ganze nächste Woche nichts mehr. Meist zog ich die Leine aus dem Wasser, am Haken hing nur noch ein kleines Stück Wurm, den Rest – so erklärte ich mir – musste ein intelligentes Fischlein vorsichtig abgeknabbert haben. Und weil die Schrazen beim Opa genau auf die gleiche, clevere Weise anbissen, war das nicht weiter schlimm.
Kulinarisch machte ich mir nichts aus unserem Fang. Da das Angeln zumeist daraus bestanden hatte, Gewürm in die Hand zu nehmen, hatte ich überhaupt kein Interesse, auch noch von den Schrazen zu kosten, den ich damit gefangen hatte. Wir überließen unsere Ausbeute also jeden Nachmittag unserer Vermieterin und machten uns auf ins Wirtshaus, wo es herrliche Semmelknödel mit Schwammerlsoße gab, und Leberkäs und Wiener Schnitzel. Und ich entdeckte dort meine Vorliebe für Steckerlfisch. Das ist eine Spezialität bayrischer Biergärten, für die ganze Fische, oft Makrelen, auf Holzstecken so dick wie Tauchsiederrohre gesteckt und über glühender Holzkohle gegrillt werden.
Allerdings biss ich erst zu, als mir mein Großvater erklärt hatte, es handele sich um noch was viel besseres als Schrazen. In Norddeutschland werden sie Maränen genannt, am Bodensee Felchen, in Bayern heißen sie Renken. Um sie zu fangen, verwendet man keine Angel, sondern die Fischer werfen Netze und Reusen aus, sagte mein Opa, wie um sich zu entschuldigen, warum wir am nächsten Tag nicht auf Renkenjagd gehen könnten. Damit hatte ich aber überhaupt kein Problem. Ich fragte, ob ich noch so einen Steckerlfisch haben könnte.
Jörn Kabisch, Jahrgang 1971 ist Journalist und schreibt seit 6 Jahren Food-Kolumnen für taz und Freitag. Jörn war lange Zeit stellvertretender Chefredakteur bei ‚Der Freitag‘, wo er das Konzept der Online-Print-Verzahnung entwickelt hat. Mittlerweile arbeitet er als freier Journalist und entwickelt Medienkonzepte.
siehe auch mein Portrait über Jörn Kabisch
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Was für eine Geschichte… also die Würmerfischerei ist ja echt der Hammer! 😀