Foto: Wolfgang Stahr
Nur selten haben Presseanfragen das Potential, ein Strahlen in’s Gesicht zu zaubern.
Solch eine Mail erreichte mich neulich mit gleich 2(!) Einladungen in die Restaurants des sternegekrönten Tim Raue. Einladung Nummer 1 in das neue Soupe populaire konnte ich leider nicht wahrnehmen, aber beim 2. Termin war ich sehr gern dabei. Dieser fand in Form eines Bloggertreffens im Restaurant Tim Raue in unmittelbarer Nähe des Checkpoint Charlie statt.
Die Grübelei, ob die zur Verfügung stehende Garderobe Anlass, Gastgeber und Ort angemessen sein würde, hätte ich mir getrost sparen können. Das Restaurant Tim Raue ist trotz beachtlichen Sternenglanzes (zwei Michelin Sterne und 19 Gault Millau Punkte) angenehm entspannt, was Interior und Kleiderordnung angeht. Als ungeübter Feinschmecker fühlt man sich keinesfalls deplaziert. Keine schwere Stille, die nur von leisem Silberbesteckgeklimper unterbrochen wird, keine einschüchternde Besteckaufreihung, kein Brokat an den Fenstern, keine silbernen Essenshauben und kein feinster Zwirn auf den Tischen.
Unser Tisch war ein schwerer Eichentisch, den Metallintarsien als den berühmten ‚The KRUG Table‘ identifizierten. Dieser Tisch für Gruppen bis zu 10 Personen steht etwas abseits mit Einblick in die geschäftige Küche des Tim Raue Restaurants. Am KRUG Table werden individuell kreierte Menüs in Kombination mit KRUG Champagner genossen.
Foto: Wolfgang Stahr
Der restliche Raum ist mit kleineren Tischen durchsetzt, an denen man auch ohne Begleitung bestens und zu überraschendem Preis-Leistungs-Verhältnis speisen kann.
An den Fenstern hängen taubenblaue Vorhänge und von der Decke chinesische Vogelkäfige. Der Durchgang zur Küche, gegenüber vom KRUG Table, wird von einem pinkfarbenen, auslaufenden Ornament dominiert. Ziemlich cool! Die Schlichtheit des Designs repräsentiert den urbanen Charakter Berlins und in gewisser Weise auch den Werdegang des Gastronomenehepaars Raue.
Foto: Wolfgang Stahr
Tim Raue, Jahrgang 1974, mit rauher Vergangenheit hat mit viel Fleiß und Disziplin nicht nur den Ausstieg aus dem Kreuzberger Gang-Milieu geschafft, sondern ist als einer der beachtetsten Köche Berlins Vorbild nicht nur in Punkto handwerklichen Könnens.
Mit der Ausbildung zum Koch (1991-94) im Restaurant Chalet Suisse Berlin und im Restaurant Auerbach hat Tim Raue den Grundstein für seine kulinarische Laufbahn gelegt. Weitere Stationen waren Restaurant Quadriga, Restaurant Merz, Restaurant Schloss Glienicke, Restaurant Bamberger Reiter, Restaurant Rosenbaum und Restaurant First Floor.
Es folgten Positionen als Sous- bzw. Küchenchef im Restaurant Rosenbaum, Restaurant Kaiserstuben, The Ritz-Carlton Schlosshotel, Restaurant e.t.a. hoffmann, Swissôtel Berlin und abschließend im Adlon.
Im Jahr 2010 gründeten Tim und Marie-Anne Raue ihr erstes Restaurant, das Restaurant Tim Raue, wo der „Koch des Jahres“ (Gault Millau 2007 und Feinschmecker 2011) eine asiatisch inspirierte Küche präsentiert, die sich als Verbindung der japanischen Produktperfektion, der thailändischen Aromatik und der chinesischen Küchenphilosophie versteht.
Foto: Wolfgang Stahr
„Mit der Eröffnung des Restaurants in den ehemaligen Räumlichkeiten der Galerie Crone haben sich Tim und Marie-Anne Raue den lang gehegten Traum eines eigenen Restaurants erfüllt. Das Logo in Form eines Kolibris unterstreicht diesen Schritt, denn mit dem kleinen Vogel verbindet das erfolgreiche Gastronomenpaar Aspekte wie Kreativität, Einzigartigkeit und Freiheit. Attribute, welche die Gestaltung des Restaurants maßgeblich beeinflusst haben und neben dem Ambiente sowohl die Küche als auch den Service inspirieren.“
© Wildkraut & Wanderschuh
Zum Stichwort Küche kann ich nur sagen: quadratisch, praktisch, pink.
Tim Raue bezeichnet seinen Arbeitsplatz als „Rolls Royce unter den Küchen“. Es handelt es sich um ein individuell angefertigtes Fabrikat des spanischen Herstellers Garcia Casademont, der auch die Küchen der mit jeweils drei Michelin Sternen ausgezeichneten Kollegen Ferran Adrià (elBulli, L’Hospitalet de Llobregat), Joan, Josep und Jordi Roca (El Celler de Can Roca, Girona) sowie Pierre Gagnaire (Pierre Gagnaire Restaurant, Paris) entworfen hat.
Mich erstaunt immer wieder, wie aufgeräumt Gastronomie-Küchen aussehen. Da liegt weniger Handwerkszeug auf den chromblitzenden Arbeitsflächen als in der ambitionierten Hobbyküche. Auch Gerätschaften wie Paco-Jet, Sous Vide-Garer und dergleichen sucht das Auge vergebens. Noch nicht einmal ein Mixer in Sicht! Handwerkliches Können erübrigt so manches Chichi, nehme ich an.
Einziges Anzeichen für bevorstehende Gaumenfreuden waren eine Riege handlicher Tabletts mit frischen Kräutern und weiteren Zutaten, die für das Finish der einzelnen Gänge bereit standen.
Woher ich das weiß? Ich war so frei, Sternekoch Tim Raue um einen kurzen Einblick in sein Refugium zu bitten, welchen er mir freundlicherweise samt kompakter Erläuterung gewährte. Dass ich mir wie ein Groupie vorkam, das Backstage seinem Idol die Hand schütteln darf, steht außer Frage… 🙂
© Wildkraut & Wanderschuh
„Raue serviert ausschließlich Gerichte, die Energie und Lebensfreude spenden und den Körper nicht unnötig belasten. Er verzichtet demzufolge auf Beilagen wie Brot, Nudeln und Reis, ebenso wie auf weißen Zucker und Gluten.“
Nach dem umwerfenden Begrüßungs-Champagner (Egly Ouriet Brut Tradition, Ambonnay) wurden 8 verschiedene asiatisch inspirierte Häppchen aufgetragen. Tim Raue gab uns die Ehre und erläuterte das Konzept dahinter, so wie er auch die folgenden Gänge jeweils kurz vorstellte.
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Die Zahl 8 steht in China für Glück und für Gesundheit und wurde repräsentiert durch
1. Shanghai Gurken
2. Daikon Rettich mit Wakamealgensalat
3. Dashikracker mit Huhn und Date
4. Drunken Prawns
5. Schweinebauch Sichuan
6. Makrele. schwarzer Essig und Shiso
7. Cashewkerne mit gelbem Curry
8. Kalbssülze mit Minze
in Geschirr, das ebenfalls ganz nach meinem Geschmack war.
Dann folgten als Menükomponenten:
IMPERIAL KAVIAR
japanische gurke | calpico
Wein: 2011 Botani (J. Ordonez u. Co / Malaga)
STEINBUTT
erbse | dashi
Wein: 2012 Rosenberg Grüner Veltliner (B. Ott / Wagram)
© Wildkraut & Wanderschuh
KAISERGRANAT
wasabi | kanton style
Wein: 1998 Bernkasteler Lay Auslese (J.J. Prüm / Mosel)
AUSTRALISCHER TRÜFFEL
palmherz | wasserkastanie
Wein: 2008 Pinot Gris „Fondation“ (Josmeyer / Elsass)
MANNY’S BEEF
wassermelone | koriander
Wein: 2009 Côtes du Rhône (Château des Tour / Rhône)
APRIKOSE
passionsfrucht | dulcey schokolade
Wein: 2011 Rieslaner Beerenauslese Bechtheimer Heilig Kreutz (J. Dreissigacker / Rheinhessen)
Die begleitenden Weine und ein Sake waren, genau wie die Speisen, famos. Da ich in Sachen Haute cuisine unerfahren bin, vermag ich nicht, näher auf Speisen und Getränke des Abends einzugehen. Andernfalls käme das der Bemühung eines Analphabeten gleich, die Struktur eines vorgelesen bekommenen Textes analysieren zu wollen. Soviel steht fest, jeder Gang war ein Genuss!
© Wildkraut & Wanderschuh
Nach einem weiteren süßen Gruß aus der Küche, erfrischenden Gesprächen mit der bunt zusammen gewürfelten Blogger- und Journalisten-Meute und einem erdenden Regenguß auf dem Heimweg, fiel ich glücklich in mein Bett. Und träumte von Küchen in pink.
Ganz herzlichen Dank für die Einladung und den wundervollen Abend an Tim und Marie-Anne Raue, sowie an Regine Schneider von der verantwortlichen Agentur Die Schneiderei.
Restaurant Tim Raue
Küche: asiatisch
Preise: überraschend
Öffnungszeiten:
Lunch: Di-Sa 12.00 – 13.30 (Restaurant schließt 15.00)
Dinner: Di-Sa 19.00 – 21:30 (Restaurant schließt 24.00)
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