… vom Supermarktbrot zum Selberbäcker
Als ich die Ankündigung las, hat es mir in den Fingern gejuckt. Das wäre was für mich. Zumal in der Nähe von Dresden, wo meine liebe Familie wohnt…
Fotos: Lutz Geißler, ploetzblog.de
Lutz Geißler, einer der bemerkenswertesten Hobbybrotbäcker unserer Tage, veranstaltete kürzlich seinen 1. Brotbackkurs und der nächste Termin steht bereits. Die Nachfrage ist groß…
Wie Lutz‘ Leidenschaft für’s Brot backen zustande kam und wie diese in allerlei spannende Projekte mündete, erzählt er selber. Deshalb halte ich ehrfurchtsvoll die Klappe und lasse Lutz zu Wort kommen:
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Mein erster eigener Brotbackkurs. 12 Teilnehmer aus allen Ecken Deutschlands kommen ins beschauliche Ottendorf-Okrilla bei Dresden, um mit mir Brot zu backen, um von mir und den anderen Teilnehmern zu lernen.
Vier Jahre zuvor: Ich sitze an einem reich gedeckten Frühstückstisch. Mein Studium ist praktisch geschafft, das Diplom als Geologe fast in der Tasche, der künftige Job in Aussicht. Zeit zum Zurücklehnen, Zeit für die gut aussehenden und verführerisch duftenden Brötchen – selbstgebackene Brötchen. Nicht von mir. Hefe, Wasser, Salz und Mehl zusammengerührt (sicherlich viel zu viel Hefe…), kurz gehen gelassen, geformt und gebacken. Für den sporadischen Hobbybäcker, an dessen Frühstückstisch ich sitze, ein glücklicher Moment, hat er doch mehr oder weniger zufällig ein überzeugendes Brötchen geschaffen. Mit jedem Bissen macht sich Begeisterung in mir breit. Und der Ehrgeiz, es selbst einmal probieren zu wollen.
Ich schleppe Kisten und Kartons. Knetmaschinen, Gärkörbe, Waagen, Teigkarten, Spatel, Mehlsäcke. Der Backplan fordert mich. Vorteige, Sauerteige, Quellstücke. Ohne sie wären die Kursrezepte nur heiße Luft.
Fünf Jahre zuvor: Ich sitze in meiner Studentenbude, schreibe an meiner Diplomarbeit, glaube, keine Zeit zu haben, gehe in den nächsten Supermarkt und kaufe das billigste Mischbrot, das zu haben ist. Brot als Füllstoff für den Magen. Keine Zeit für einen Blick auf die Zutatenliste. Keine Zeit für eine Nase voll fadem Brotduft. Kein Gespür für die pappige Kruste und die krümelige, muffige Krume.
Christian ruft mit bayerischem Akzent: „Plötz! Komm einmal her.“ Da bin ich. Innerlich aufgeregt, äußerlich voll Freude und Anspannung, voller Wissbegier, mein Wissen weiterzugeben.
Drei Jahre zuvor: Aus meiner kleinen privaten Rezeptesammlung auf einer versteckten Adresse im weiten Netz der Möglichkeiten ist ein beachtliches Potpourri aus Rezepten für Brote, Herzhaftes und Süßes, aus Kinotipps, Musikempfehlungen und vielem mehr geworden. Kommentare und Anfragen häufen sich. Es geht immer nur ums Brot. Ich backe. Erst jedes Rezept, das mir in die Hände oder aus dem Kopf fällt. Dann gezielter. Ich schlage in Fachbüchern nach, lese auf Hobbybäckerseiten und in Foren im Internet. Ich möchte mehr wissen. Was ist ein gutes Brot? Warum schmeckt mir auf einmal mein Supermarktbrot nicht mehr. Warum schmeckt mir noch nicht einmal mehr das Bäckerbrot? Fragen, Antworten, Anfragen, Hinweise, Backerfolge und Rückschläge vermengen sich zu einem Knäuel, das ich endlich aufdrieseln muss. Der Plötzblog ist geboren. Eine Website nur für mein Hobby Brotbacken.
Wir sitzen zusammen, kosten von unserem gerade gebackenen Brot. Christian massiert Öl in die Focaccia – das falsche. Es ruft bayerisch von der anderen Küchenecke: „Der Plötz hat gesagt…“. Habe ich. Gemeint hatte ich etwas anderes. Der erste Brotbackkurs ist eine Probe. Für mich und meine Kursteilnehmer. Ich freue mich über jeden Fehler, der mir oder meinen Hobbybäckern passiert. Fehler machen Spaß. Und sie sind überaus lehrreich.
Zwei Jahre zuvor: Jedes misslungene Brot bringt mich etwas weiter. Ich blogge wie verrückt. Jeden Tag ein neues Rezept. Bald fehlt mir die Zeit. Alle zwei Tage ein neues Rezept. Ich blogge nicht für Andere. Ich bin so neugierig, dass ich gar nicht anders kann, als derart viel zu backen. Meine Freunde und Verwandten dürfen mein neues Hobby auskosten. Mit jedem Rezept und jeder Antwort auf Kommentare wächst der Plötzblog. Ich merke, wie ich mir allmählich eine Brotbackphilosophie entwickele – mit Schwerpunkt auf gutem Geschmack, Geruch und natürlichen Zutaten. Das Brotbacken verändert mich. Die Zeit, die ein gutes Brot braucht, ist Zeit, die alles im Leben braucht. Unser heutiges Brot ist Symbol einer Gesellschaft, die sich in Schnelligkeit und Hast zu verlieren scheint. Wer ein gutes Brot backen kann, lernt die alten Tugenden wieder schätzen, steht im Kontrast zum heutigen Alltag. Wir müssen nicht lernen, schnelle Brote zu backen, um im Tempo mitzuhalten. Wir sollten lernen, das Tempo zu drosseln und die wahren Lebensqualitäten wiederzuentdecken. Brot gehört für mich inzwischen dazu. Und für viele andere Menschen auch. Der Plötzblog auf der bisherigen Domain platzt aus allen Nähten. Zeit also, auf ploetzblog.de umzuziehen.
Der Brotbackkurs ist ein voller Erfolg. Zufriedene Teilnehmer, mehr als 20 knusprige Brote und Brötchen. Theoretisches und praktisches Brotbackwissen an anderthalb Tagen. Stress pur. Aufbau, Abbau, Putzen. Fragen über Fragen, Dank über Dank. Und Glück – am Abend, als der letzte Teilnehmer die Küche gen Heimat verlässt. Vom Supermarktbrot zum eigenen Brotbackkurs.
Heute: Ploetzblog.de ist inzwischen die umfangreichste private Brotbackseite im deutschsprachigen Internet. Mit mehr als 450 Rezepten, mehr als 4.500 Kommentaren, über 250.000 Seitenzugriffen und ca. 20.000 eindeutigen Besuchern pro Monat ist mein Blog weit mehr geworden als eine kleine Rezeptesammlung für mich und Bekannte.
Viele meiner Ideen habe ich schon umsetzen können. Egal ob es der Vertrieb von speziellem Backzubehör (z.B. Bäckerleinen) oder Hobbybäckerkleidung ist, ob es Videoanleitungen, Backbuchbesprechungen oder Übersichtsseiten zu allen Neuigkeiten aus der Brotblogger-Szene sind – viele Ideen schlummern noch in meinem Kopf. Eine davon hat gerade begonnen, sich zu verwirklichen: ein Brotbacklexikon.
Fotos: Lutz Geißler, ploetzblog.de
Über allem aber steht mein Wunsch, so vielen Menschen wie möglich einmal mit gutem Brot den Mund wässrig zu machen. Es ist wie eine andere Welt.
Lutz Geißler, ploetzblog.de
Das sind ja tolle Brote. Und eine tolle Reportage. Danke. LG Anna