Ist es wirklich schon ein Viertel-Jahrhundert her?
© Wildkraut & Wanderschuh
Im schönen Dresden in meiner fleißigen Familie, die zum Gelingen, aber nicht zur Verlogenheit des Staates beitragen wollte, lernte ich, mich als Heranwachsende nicht von der omni-präsenten Propaganda beeinflussen zu lassen. Ein Parteibeitritt kam nie in Frage. Damit leider auch kein Zugang zur erweiterten Oberschule und Hochschulstudium. Ich nahm den Umweg über Berufsausbildung und Fachschulstudium, welches mich 1987 nach Berlin verschlagen hat. Also nach Berlin, Hauptstadt der DDR.
Westberlin war für mich so weit weg, wie der Mond. Unerreichbar. Undenkbar.
Im Prinzip merkte man in Ostberlin wenig von der Teilung der Stadt. Man gelangte als Normal-Sterblicher ohne Wohnsitz in Mauernähe selten in Sichtweite des Antifaschistischen Schutzwalls. Die Grenze war keine Grenze, sondern das diffuse Ende der Welt.
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Obwohl ich seit den Fluchtbewegungen und Demonstrationszügen mit Spannung die Entwicklung der Ereignisse im Land verfolgte, gestehe ich, die Maueröffnung in der Nacht des 9. November 1989 glatt verpennt zu haben. Abends unterwegs gewesen und ohne Nachrichten in’s Bett halt …
Erst am nächsten Tag habe ich auf dem Weg zur Ingenieurschule in Richtung Oberbaumbrücke gemerkt, dass was nicht stimmt. Das tote Ende der Warschauer Straße, das sonst nur von wenigen ausreisegenehmigten Rentnern frequentiert wurde, wimmelte von aufgeregt schnatternden Menschen, die Richtung Grenzübergang strebten.
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Netterweise bekamen wir den Tag frei. Direkt über die Grenze ging es dann erstmal nicht mehr. Ein Visum war gefragt. So reihte ich mich erwartungsvoll in die aus meinem zuständigen Polizeigebäude quellende Warteschlange ein. Anstehen waren wir ja gewohnt.
Soweit ich mich erinnere, wurden anfangs nur Visa für wenige Tage ausgestellt. Nach einer Weile (ich stand immer noch auf der Straße) brüllte eine Frau die gute Nachricht aus dem Fenster, dass nun Visa für 3 Monate ausgestellt würden. Jubel.
Mit Stempel im Personalausweis fuhr ich gegen Mittag zum nächstgelegenen Grenzübergang und passierte mit gemischten Gefühlen die Grenze. Im Tal der Ahnungslosen ohne Westfernsehen und Westradio aufgewachsen hatte ich eine wenig reelle Vorstellung vom goldenen Westen. Wenn auch etwas misstrauisch, freute ich mich über die netten Westberliner, die uns Grenzgänger jubelnd beklatschten.
Auf meinem Stadtplan hörte Berlin an der Mauer auf. Dahinter gabs nur weißes Papier mit ein paar eingestreuten Grünflächen. Mit Hilfe der BVG-Linien-Pläne fand ich mich dennoch zurecht und meinen Weg zum Kudamm.
© Wildkraut & Wanderschuh
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Ich kann von jenem Tag nicht allzuviele Details wieder geben, hoffe aber, die Fotos erzählen genug. Ich weiß nichtmal mehr, was ich mir vom Begrüßungsgeld (danke dafür!!!) als Erstes kaufte. Jedenfalls keine Bananen. 😉
Es herrschte emotionaler Ausnahmezustand, die Straßen waren voll, freundliche Helfer reichten heißen Tee und ich erkundigte mich bei einer netten Obstverkäuferin, was diese große grüne Zitrusfrucht für eine sei.
Dass die neu gewonnene Freiheit am 10.11.89 noch auf tönernen Füßen stand und der friedvolle Ablauf ganz und gar nicht selbstverständlich war, ahnte kein Unbeteiligter. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar für die Besonnenheit der Grenzschützer, die angesichts der Übermacht des Volkes lieber ihre Ideale als Menschenleben geopfert haben.
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Diese Remineszenz erinnert mich an das deutsch-deutsche Buffet im Hotel Intercontinental, welches anlässlich des Jubiläums die Wiedervereinigung mit klassischen Buffets, Kaffeepausen und Menüs aus Ost- und Westdeutschland feiert.
Wir durften kosten …
© C. Thomas
In kleiner Runde schlemmten wir uns durch Klassiker der ostdeutschen und der westdeutschen Küche. Genau genommen: Burger von Pumpernickel, Krabbencocktail, Russisch Ei, Sülzkotelett, Soljanka, Berliner Kettwurst, Schollenfilets Finkenwerder Art, Falscher Hase, Blumenkohl „Polnische Art“, Ravioli in Tomatensauce und für den süßen Zahn Kartoffelpuffer mit Apfelmus, Schwarzwälder Kirsch, Leipziger Lerchen und Schokoladensoufflé von Hallorenkugeln. Eine köstliche und unterhaltsame Angelegenheit, weckt sie doch jede Menge Erinnerungen.
Die Buffets werden auch als DDR-BRD-Catering angeboten.
Vielen Dank für die Einladung!
Liebe Peggy,
danke für diese Zeitreise und den persönlichen Einblick.
Ich habe früher immer gedacht, West-Berlin wäre ein eigener kleiner Staat mit sehr wenig Menschen – waren ja keine Häuser und Straßen auf der Landkarte eingezeichnet, alles nur weiß 🙂 Mein erster Besuch in West-Berlin war ca. 2 Wochen nach Grenzöffnung, und selbst da wurden wir noch liebenswert begrüßt und bekamen kleine Geschenke. Mein schönstes Geschenk war eine Mandarine von einem Obsthändler am Kottbuser Tor. Die war sooooooo köstlich 🙂
Die Fotos sind toll. Ich wünschte, ich hätte damals einen Fotoapparat gehabt.
Liebe Grüße, Franzi