Das Radialsystem V, eine junge Event-Location in altem Gemäuer (entschuldigt die Anglizismen, aber mir fällt kein gescheiter deutscher Begriff ein, der einigermaßen zeitgemäß klingt) war gestern abend Schauplatz der Buchpräsentation von Ferran Adriàs Buch ‚Ein Tag im elBulli‘.
Im Lounge-Bereich gab es neben den obliga-torischen Getränken und Snacks die heiß begehrten Bücher aus dem Phaidon-Verlag zu kaufen. Ein Angebot, von welchem reichlich Gebrauch gemacht wurde.
So konnte man sich denn eine Zeit lang in angenehmer Atmosphäre mit frisch erworbenem Buch auf den Abend und dessen Star einstimmen.
Ich hatte das Glück, zudem noch nette Gesellschaft zu bekommen. Katharina vom Blog Valentinas-Kochbuch entdeckte mich (wie auch schon beim kulinarischen Kino, während ich bei solchen Gelegenheiten Tomaten auf den Augen zu haben scheine) und ich gesellte mich gern zu ihr und ihrer Begleitung.
Anschließend wurden wir alle nach nebenan in den Saal dirigiert und mit ‚Ground Control an Major Tom‘ aus den Lautsprechern und einem Video auf der Leinwand in einen Abriss der Entstehungsgeschichte des elBulli hineingenommen.
Das Im ursprünglich von einem deutschen Ehepaar als Minigolf-Anlage gegründeten elBulli (der Name eine Remineszenz an die geliebten Französischen Bulldoggen des Ehepaars Schilling) hat Ferran Adrià 1983 übernommen als Praktikant begonnen. Vom Geschäftsführer Juli Soler, der das Ausnahmetalent erkannte, bekam Ferran Adrià für 1984 eine Anstellung als Chef de Partie angeboten, welche dieser antrat. Bereis am 1. November des selben Jahres erfolgte die Ernennung zum 2. Küchenchef gleichberechtigt neben Christian Lutaud… (Das kurze Video, welches wir zu sehen bekamen, war Appetizer für eine 10-stündige Videoserie, die ausführlich die Historie des elBulli auf kreativer Ebene dokumentiert und zur Zeit in Arbeit ist. Darauf darf man gespannt sein.
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In seinem Vortrag erläuterte Ferran Adrià, dass es beim leidenschaftlichen Kochen (nicht nur in der Avantgard-Küche) darum geht, nicht lediglich Nahrung anzubieten, sondern zudem ein Erlebnis zu bereiten.
Kochen ist wie eine Sprache. In kaum einen anderen Bereich fließen so viele verschiedene Faktoren gleichermaßen ein, wie beim Kochen: Geschichte, Kultur, Bildung, Wirtschaft, Design, Landwirtschaft, Ökologie und Kunst.
Wohl auch aus diesem Grund erfährt Ferran Adriàs Arbeit aus den verschiedensten Kreisen Aufmerksamkeit.
Er wurde als erster und bisher einziger Koch zur Documenta nach Kassel geladen. Zudem erhielt er 2006 den ‚Lucky Strike Designer Award‘. Gerade erst erschien ein Artikel im wissenschaftlichen Online-Magazin ‚New Scientist‘ und kurz zuvor ein Artikel in der Zeit-Online nebst vielen anderen…
Ferran Adrià hat mit seinem Team eine eigene, neue Sprache entwickelt. Eine bis dato unbekannte Sprache, wie eine andere Welt. Das Alphabet dieser Sprache sind das (damals) einzigartige Konzept und der Einsatz moderner technischer Verfahren. Inspiration für seine ästhetisch-künstlerische Arbeit mit Lebensmitteln scheinen nicht zuletzt diverse Reisen nach Japan beigesteuert zu haben.
Ein häufiger geäußerter Kritikpunkt angesichts der Avantgardküche ist der, dass von den eingesetzten Lebensmitteln nichts mehr zu erkennen sei. Ja, aber dies gelte zum Beispiel ebenso für Ravioli und andere traditionelle Gerichte. Es gibt halt zwei Arten zu kochen, welche man wunderbar gleichwertig nebeneinander stehen lassen darf und die beide sowohl guter Optik als hervorragendem Geschmack Rechnung tragen:
– Küche, bei der die Lebensmittel im Mittelpunkt des Interesses und der Präsentation stehen und
– Küche, bei der die Zubereitungsform eine zentrale Rolle spielt
Ferran Adrià beschrieb, wie jeweils ein halbes Jahr lang im Experimentierlabor ‚El Taller‘ neue Verfahren ausprobiert werden und während dieser Zeit das Restaurant geschlossen bleibt. Auch während des laufenden Betriebes in den restlichen 6 Monaten wird tagsüber getüftelt, während am Abend ein eingespieltes Traum-Team mit perfekt eingeübtem Repertoire wahre Kunstwerke auf Teller und Tische zaubert.
„Ohne Zeit ist keine Kreativität möglich.
Foto: multikulinarisch.de
Im Vortrag wurden beispielhaft einige Techniken (und wie sie entwickelt wurden) mit kurzen Video-sequenzen erläutert. Zum Beispiel Buchstaben-
Suppe der etwas anderen Art.
Teilweise recht simpel und genial (ich hoffe allerdings, Niemand kommt auf die Idee, ebenfalls mit bloßen Fingern an flüssigem Stickstoff zu hantieren), andere komplex und ausgefeilt wie Symphonien. Was letztendlich beim Gast ankommt kann sich in jedem Falle sehen lassen!
Um keine Langeweile aufkommen zu lassen, soll demnächst nicht mehr im Frühjahr und Sommer das Restaurant abends für Gäste geöffnet werden, sondern stattdessen im Frühling und im Herbst (nagelt mich hierauf nicht fest, ggf. war es auch Herbst und Winter). Da das Restaurant recht abgelegen ist, umfasst dann das Gesamt-Erlebnis elBulli auch die abenteuerliche An-und Abreise…
Überhaupt ist es wie Lotto spielen, wenn man sich um einen Platz im Restaurant bemüht, was bei nahezu 2 Mio Bewerbungen auf 8000 Plätze pro Jahr nicht verwundert. Die Behauptung, es gäbe Wartelisten über mehrere Jahre entspricht allerdings nicht den Tatsachen. Auch Praktikumsplätze sind im elBulli heiß begehrt. Jedes Jahr 8000 Bewerbungen…
Pi mal Daumen setzt sich die Gästeschar zur Hälfte aus Spaniern und zur anderen Hälfte aus Ausländern zusammen. 50% der Gäste sind Wiederholungstäter. Zieht man diese Faktoren mit in’s Kalkül, sinken die reellen Chancen auf einen Platz im elBulli weiter. Ferran Adrià hat diesen bedauerlichen Umstand wie folgt erläutert:
Natürlich könne er mit seinem Know-How und Namen weitere Restaurants in großen Metropolen eröffnen. Aber da Authentizität zu den Grund-Pfeilern des elBulli zählt, käme dies Prostitution gleich.
Ich habe nicht 25 Jahre eine Sprache entwickelt, um mich dann zu prostituieren.
Das Restaurant wird mehr oder weniger aus Idealismus und Freude an der Koch-KUNST betrieben. Wirtschaftlich rentabel ist es nicht, nur 6 Monate wenige Stunden geöffnet zu haben mit insgesamt 70 Angestellten und 50 Gästen pro Abend.
Auf die Frage aus dem Publikum, was sein Lieblingsgericht sei, antwortete er, dass er ein einfacher, bescheidener Mensch geblieben sei (was ihn sehr sympatisch macht) und privat gern gegrillten Fisch bzw. gegrilltes Gemüse esse. Auch würde er in Berlin unbedingt wieder eine Currywurst essen wollen.
Eine weitere interessante Zuschauerfrage war, ob er oft zum Essen eingeladen würde. Das wohl eher selten…
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An den Vortrag anschließend bildeten sich in der Lounge eine lange Schlange derer, die Ihre Bücher signieren lassen wollten. Da lass ich einfach mal die Bilder für sich sprechen.
Nur noch soviel.
Mein Fazit des gestrigen Abends, des Buches (welches ich noch genauer unter die Lupe nehmen und im Blog vorstellen werde) und des Haupt-Akteurs: Kleiner Mann ganz groß!
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Für Interessenten:
Ich liebe das Design. Genau nach meinem Geschmack! Mein Top-Favorit (auch von der Idee her) ist ein Löffel mit Clip:
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